Nach welchen Kriterien kommt die Einteilung in Gattungen zustande?

  • Hallo zusammen,


    ich habe eine sehr allgemeine Frage zum Thema Gattungen innerhalb der Familie Mantidae.


    Ich habe mir vor kurzem das Buch "Mantodea" von Reinhard Ehrmann ausgeliehen und mir beim Blättern die Frage gestellt, nach welchen Kriterien Wissenschaftler die Gattungen innerhalb der Familie eingeteilt haben. Da sich das Buch an ein Fachpublikum richtet, werde ich als Laie bei der Frage leider allein gelassen ^^ Geht es bei der Einteilung um phänotypische Merkmale, Evolutionsgeschichte, Lebensräume oder ist es eine Mischung aus allem? (Hängt ja schließlich auch alles zusammen)


    Insbesondere interessiert mich die Frage beim Vergleich der Arten Mantis religiosa und Polyspilota aeruginosa. Beide Arten sehen auf den ersten Blick relativ ähnlich aus, gehören aber verschiedenen Gattungen an.


    Ich freue mich, wenn jemand von euch Licht ins Dunkel bringen kann. Weitere Lektüretipps zum Vertiefen sind auch willkommen!


    Viele Grüße.

  • Hi. Die mantiden sind in 5 Untergruppen verteilt.




    Mantidea:Beispiele hierodula Arten,mantis Religiosa,polisphilota afnis



    Hymenopidae:Beispiele hymenopus coronatus pseudocreobotra phylocrania paradoxa



    Empusidae:Beispiele idolomantis diabolica,sybilla peritosa,gonhylus gongylodes



    Mehr weiß ich nicht.

  • Hallo,


    Mantis888 Die Gruppen welche du meinst sind Familien, nicht Gattungen. Außerdem sind das mittlerweile deutlich mehr als 5, meines Wissens im Moment 29 (das muss nicht unbedingt korrekt sein und ändert sich zurzeit ständig)


    Nyarlathotep Ganz genau kann ich dir jetzt auch nicht weiterhelfen. Teilweise geht es um phänotypische Merkmale, aber auch Evolutionsgeschichte und vermutlich auch Untersuchungen an der DNA werden eine Rolle spielen, genauer kann ich es dir aber auch nicht sagen.


    Habe noch ein paar interessante Links die dir eventuell weiterhelfen (auch wenn teilweise schon recht wissenschaftlich):

    https://www.tandfonline.com/do…556567?journalCode=tase20

    https://www.zobodat.at/pdf/Ent…ie-heute_29_0001-0023.pdf

    https://mantodearesearch.com


    Außerdem kann ich das Buch "The phylogenetic system of Mantodea" von Frank Wieland empfehlen, dieses ist aber auch sehr wissenschaftlich und auch schon etwas veraltet (im Gegensatz zum Ehrmann aber relativ neu, es tut sich im Moment nur sehr viel in der Forschung)


    Ich hoffe ich konnte dir etwas weiterhelfen, eventuell meldet sich ja noch einer der sich mit dem Thema schon genauer und länger auseineinander gesetzt hat.


    Viele Grüße,

    Leander

  • Moin...


    Für den Anfang, sozusagen "mal zum gucken" wie viele "Gruppierungen" es innerhalb der Ordnung gibt, kann man auch ganz Laienhaft auf Wikipedia nachschlagen:

    Fangschrecken – Wikipedia


    Mantis und Polyspilota gehören immerhin derselben Familie an.


    Warum aber nicht derselben Gattung - naja, da könnt man ebenso gut fragen, wieso Sphodromantis und Hierodula nicht dieselbe Gattung sind, die gleichen sich schließlich auch wie ein Ei dem Anderen (und sehen sich mMn bedeutend ähnlicher als M.r. und P.a.) ;)


    Das wird wohl eine Mischung aus mehreren Faktoren sein, angefangen von der unterschiedlichen Herkunft, über den unterschiedlichen Geschlechtsapparat bishin zu phänotypischen Merkmalen.

    Zumindest die Herkunft nimmt gewiss einen festen Platz in der Bestimmung ein, da sich den Herkunften nach manche Gattungen mit Sicherheit ausschließen lassen. Wenn das Tier aus Afrika kommt kanns z.B. keine Hierodula sein - kommts aus Indonesien ists dagegen sicher keine Sphodromantis.

    Wer genau sich das ausgedacht hat kann ich Dir aber nicht sagen.


    Erwähnenswert mag aber eventuell sein, dass Gottesanbeterinnen "ganz, ganz früher" erst mal alle als Grillen geführt wurden, und danach etliche Jahre jede einzelne Mantide als "Mantis religiosa" registriert wurde.

    Es gibt heute noch Sammlungen, in denen irgendwelche Ast- und Blütennachahmer als "Mantis religiosa" beschriftet im Kasten liegen, weil einfach nie jemand die Zeit aufbringen konnte sich das mal näher anzusehen :P


    Aber wie Leander schon sagte, das ändert sich derzeit ständig. Da viele Reisen "situationsbedingt" ausfallen mussten haben die Forscher aller möglichen Sparten viel mehr Zeit sich vorhandenen Sammlungen zu widmen. Da wird aktuell viel neu bewertet und eingeteilt.


    Bei Mantiden hab ich das nicht so im Blick muss ich zugeben, was derzeit bezüglich Phyllium sp. alles umgeworfen und neu aufgestellt wird ist allerdings erstaunlich.


    -Kraehe

  • Danke euch allen!


    Kraehe Sehr interessant, was du zu Mantis religiosa schreibst. Ich habe mich schon gefragt, warum ausgerechnet sie diesen ganz klassischen Namen bekommen hat, der ja auch nahe am Populärnamen der ganzen Ordnung ist. Liegt wahrscheinlich daran, dass die frühen Biologen, die sich um eine erste Taxonomie bemühten, aus Europa kamen und ihnen die Art daher am ehesten bekannt war. Wüsste man es nicht besser, müsste man sie dem Namen nach für die "Ur-Mantis" halten, aus der sich alle anderen Vertreter dann entwickelt haben ^^

  • Moin...


    Dazu noch kurz ein Querverweis zu einem anderen Thema, auch wenn das SEHR kurz ist:

    Welche mantis wurde als Erstes erstbeschrieben?


    Carl von Linné, welcher M.r. als erste Mantide wissenschaftlich beschrieben hat, war seinerseits übrigens Schwede. Also trifft vermutlich zu, dass er die erste Mantide die er selber irgendwo gefangen hat, dann auch beschrieben hat. Er hat im selben Jahr mWn aber noch andere Arten erstbeschrieben. Ein oder der "Ur-Typ" ist M.r. aber vermutlich nicht.


    "Die" Ur-Mantide wird man heutzutags vermutlich auch kaum mehr nachvollziehen können.

    Gottesanbeterinnen sind ja doch schon so 2-3 Jahre unterwegs :P und unterliegen ja genauso wie die Welt um sie herum einem ständigen Wandel.

    Vielleicht gibts da aus der Richtung Paläontologie (Bernstein-Einschlüsse von Insekten) mehr Wissen darüber, wie "die" Mantide mal aussah, wie groß sie war usw. Aber für sowas interessier ich mich zugegeben zu wenig als dass ich dazu wirklich was sagen könnt.


    -Kraehe

  • Interessant ist auch, dass im englischsprachigen Raum offenbar "Mantis religiosa" als Synonym für alle Mantiden gilt.


    Hat mich letztens einer im Park gefragt, ob die Sphodromantis da eine M. r. ist. Ich hab natürlich nicht angenommen, dass sie sich so gut bei den Gattungen auskennen, dass sie das aus 2m Entfernung erkannt haben. :P Auf Instagram und co. stellen auch ständig Laien Bilder aus, wo eindeutig ein Ast o.ä. zu sehen ist und beschreiben es als "Mantis religiosa".


    Wie die "Urmantide" aussah würde mich auch interessieren. Mantis religiosa ist schon daher interessant, weil sie als einzige Art soweit ich weiß überall auf der Welt vorkommt.


    Das mit den Herkunftsorten vermischt sich aber auch, wenn es jetzt schon in Südeuropa sowohl Hierodula als auch Sphodromantis gibt. Da frage ich mich, wie lange es dauert, bis die ersten Hierodula in Afrika und die ersten Sphodromantis und Stagmatoptera in Indonesien eingeschleppt werden. Evolution bzw Artenverbreitung ist eben ständig im Wandel… vor allem durch den Menschen, der sich überall einmischt.

  • Hi.


    Also zum Thema Gattungen: Alles über dem Artniveau (die einzige in der Natur real existierende Entität ist die Art, die biologisch als eine Gemeinschaft von Individuen definiert ist, die hypothetisch fruchtbare Nachkommen miteinander zeugen können) sind vom Menschen künstlich eingeführte Kategorien. Das dient dem besseren Ordnen der Vielfalt. Gewisse Phylogenetiker weigern sich, alles über der Art zu akzeptieren, zum Glück haben die nicht viel diesbezüglich zu melden. Die Sytematik dient dem Ordnen und hierarchischen Klassifizieren der Vielfalt und künstliche Konstrukte wie Gattungen, Familien, Ordnungen etc. dienen dazu, möglichst schnell die Verwandtschaftsverhältnisse eines Organismus aufzeigen zu können.


    Da das nun gesagt ist, gilt es zu beachten, dass das Aufstellen von Gattungen keineswegs willkürlich ist. Eine Gattung besteht aus nah miteinander verwandten Arten, die sich gewisse Merkmale teilen und sich in eben jenen Merkmalen diskret von anderen Artengruppen unterscheiden. Das heißt, dass es zwischen Artengruppe A und B einen deutlichen Merkmalssprung und keine fließenden Übergänge gibt. Entdeckt man intermediäre Arten, werden nicht selten zwei Gattungen wieder zusammengeworfen, falls keine neuen, eindeutig trennenden Merkmale entdeckt werden. Bei artenreichen Gruppen gibt es nicht selten sogar Untergattungen.


    Um ein obiges Beispiel aufzugreifen: Sphodromantis war lange Zeit eine Untergattung von Hierodula, weil schon damals die große oberflächliche Ähnlichkeit aufgefallen war. Ein Unterscheidungsmerkmal waren die Tuberkel zwichen Auge und Antenne, und dieses Merkmal erschien den Taxonomen schon damals recht schwach. Nun hat sich aber später herausgestellt, dass die beiden Gattungen überhaupt nicht nah verwandt sind, ja sogar verschiedenen Unterfamilien angehören und jeweils andere Gattungen deren nächste Verwandten sind: Sphodromantis ist etwa mit den Gattungen Rhomboderella, Alalomantis, Epitenodera und Paramantis verwandt, etwas entfernter verwandt mit Polyspilota und Tenodera, die zum Teil ganz anders aussehen. Hierodula ist dagegen mit Rhombodera, Rhombomantis, Camelomantis etc, verwandt. Der Grund für die Ähnlichkeit zwischen Sphodromantis und Hierodula ist das Evolvieren in die gleiche Nische: was Sphodromantis in Afrika wurde, wurde Hierodula in Asien. Man weiß heute, dass Äußerlichkeiten täuschen können und sieht man sich evolutionär konservierte Merkmale wie die männlichen Genitalien an, so wird der krasse Unterschied zwischen den beiden Unterfamilien deutlich. Zum Verwechseln ähnlich sehen sich auch Tenodera und Epitenodera, Theopompa und Theopompella usw.


    Was die Urmantis angeht, so gibt es mehrere fossile Beispiele und man kann sich in etwa ein Tier ähnlich den heutigen Gattungen Chaeteessa und Mantoida vorstellen, mit noch deutlich ursprünglicheren Fangbeinen.

    Die Gottesanbeterin hatte,
    Ihr Männi zum Fressen gern;
    Sie schlang eine Portion Gatte
    Und lobte mit Rülpsen den Herrn.